Sonntag, 7. Mai 2017

Schweigen kann so laut sein, dass es nicht zu überhören ist (Johann W. von Goethe)



"Mädchen sitzen getrennt" (c) CFalk/pixelio.de


Wir alle wissen, dass Worte verletzen können. Dass Worte, wie Pfeile, die einmal abgeschossen wurden, nicht mehr zurückgenommen werden können; sie sind ausgesprochen und akustisch nicht mehr zu überhören!
Hinzu kommt der Volksmund, der sagt: "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!"

Wie passt denn dann der Spruch im Titel? 

Manchmal entscheiden Sie sich vielleicht, einem Menschen, der Ihnen mehr oder weniger nahe steht, nicht zu sagen, was Sie denken. Sie ignorieren seine Fragen, sein Nachfassen zu einer Sache, die für ihn erklärungsbedürftig ist. Sie melden sich nicht auf seine Anrufe zurück, beantworten seine Mails nicht...

Auf Nachfrage zu Ihren Gründen werden Sie vielleicht erklären:
- Sie, er wird es schon irgendwann irgendwie kapieren, wenn er nichts mehr von mir hört,
- ich will meine Freundschaft zu ihm/ihr nicht gefährden, wenn ich sage, was ich denke oder fühle,
- ich will ihm/ihr nicht weh tun!
- ...

Besonders auf die erste Verhaltensweise trifft man sehr oft in der Geschäftswelt. So wollen wir möglicherweise einen vermeintlich lästigen "Vertreter" loswerden... Sicherlich wird es hier seltener um freundschaftliche Beziehungen gehen, doch wie ist es für Sie im umgekehrten Fall? Erwarten Sie dann nicht, wenn Sie selbst ihn brauchen, dass er sich unverzüglich bei Ihnen meldet? Am besten schon gestern, für eine Sache, die Ihnen erst morgen einfallen wird?... Ist das fair?

Aber wie sieht es im privaten Bereich aus?

Sollten Sie wirklich so mit Menschen umgehen, die Sie Ihre Freunden nennen? Öffnet nicht gerade Ihr Schweigen dem Missverständnis Tür und Tor? Ihre Freundin/Ihr Freund kann nun alles in Ihr Schweigen interpretieren, ohne dass Sie dies in irgendeiner Form korrigieren könnten.

Gefährden Sie nicht genau durch Ihr Schweigen eben diese Freundschaft, die Sie hoch halten wollen? Fügen Sie dem anderen nicht genau so größtmöglichen Schmerz zu?

Sehr wahrscheinlich!

Hand aufs Herz! Geht es hier nicht viel mehr um Ihre eigene Angst? Die Angst, den Schmerz Ihres Gegenübers aushalten zu müssen, wenn Sie ihm/ihr tatsächlich etwas Unangenehmes mitteilen müssen? Die Angst, sich zu konfrontieren, Emotionen/Emotionsausbrüche zu ertragen?

Einfach mag das nicht sein! Doch im Ergebnis sicherlich besser und wünschenswerter, finden Sie nicht? Und... einer wahren Freundschaft tut dies nichts ab!

Also... lassen Sie uns (denn auch der Autor schließt sich hier nicht aus!) in Zukunft eher miteinander reden als uns anzuschweigen!

Mit herzlichen Grüßen!

Sonntag, 26. März 2017

In der Tat gibt es Glück - ohne Tat seltener (Klaus Ender)


M. Großmann  / pixelio.de

Diesen Spruch von Klaus Ender, einem deutsch-österreichischen Fachbuchtautor, Poet und bildenden Künstler der Fotografie fand ich letztens auf einem Leitspruchkalender.

Lässt einen das kleine Wortspiel ob seiner Spitzfindigkeit vielleicht anfänglich schmunzeln, so steckt doch darin eine Menge Wahrheit. 

Doch erkennen wir sie auch? Und wenn ja, handeln wir auch danach?

Wenn Ersteres bejaht wird, so könnte Letzteres schon eher weniger zutreffen, steckt doch darin möglicherweise Mühe, Geduld, Ausdauer und wahrscheinlich auch so manches Mal Misserfolg.

Millionen von Lottospielern nach zu urteilen, scheint das Glück einem doch wohl eher zufällig holt zu sein. Trotz Wahrscheinlichkeiten von 1 zu 140 Millionen - es ist wahrscheinlicher vom Blitz getroffen zu werden - strömen sie allwöchentlich in die Läden, um ihre Tippzettel auszufüllen, manche sogar mittwochs und samstags, und bei mehreren Lotterien. Und viele tun dies bereits seit mehreren Jahrzehnten.

Auf einer anderen Ebene ist es sicherlich auch einfacher, die "Schuld" im Äußeren zu suchen, als Grund dafür, dass man selbst kein Glück hat.

Es kommen dann Sätze wie "wenn denn dies oder jenes wäre (oder nicht wäre)...", "wenn mein Mann/meine Frau dies oder jenes täte (oder nicht täte)...", "wenn ich Sohn/Tochter von... wäre", "wenn....", "wenn...", "wenn...",....... jaaa, dann....

Der Spruch im Titel dieses Beitrags verlangt jedoch von jedem, der Glück sucht und finden will, in die eigene Aktivität zu kommen, "in die Tat" zu gehen.

Denn Glück kommt von Gelingen, und Gelingen setzt zwangsläufig eine Tat, eine Aktion voraus.

Und Aktionen können schmerzhaft sein, nicht nur physisch wegen der möglichen körperlichen Anstrengung, sondern in der Regel - und das leider meist zum größeren Teil - auch psychisch und seelisch, dann nämlich, wenn es an die eigene Nabelschau geht.

Denn stelle ich mir die Frage, warum ich dieses oder jenes tue, nicht tue, und stelle ich sie mir "im stillen Kämmerlein", ganz ehrlich und ganz alleine mit mir selbst, gibt es keine Entrücken, keine Entschuldigung mehr. Und das tut eben mitunter weh!

Dann doch lieber im "alten" Muster bleiben, und den anderen die Schuld geben? Wohl kaum, denn überlasse ich damit nicht dem anderen nicht zuletzt auch die Verantwortung für das eigene Leben?

Warum ist es denn oft so schwer und schmerzhaft, sich an die eigene Nase zu packen und Verantwortung für sich zu übernehmen? Vielleicht liegt es am "Alles-oder- Nichts"-Denken, den wir dann an den Tag legen?

Denn wenn der Lottospieler in den allermeisten Fällen vergebens über Jahre auf seine 6 Richtigen hofft, und möglicherweise durch einen neuen Jack-Pot-Gewinner motiviert wird, weiter zu spielen, nach dem Motto "Es klappt doch, und irgendwann trifft es mich!", so lassen wir uns möglicherweise auch dazu verleiten zu glauben, es müsse alles schnell und am besten sofort geschehen, wenn wir das Beispiel eines Menschen sehen, der quasi "über Nacht" erfolgreich, berühmt wurde, als sei es ihm zugefallen. Geschieht dies so nicht, sind wir enttäuscht, genau wie der Lottospieler, der mal drei Zahlen korrekt getippt hat.

Wir verkennen dann, dass auch bei dem Menschen, dem das Glück dann scheinbar zugefallen ist, oft viele Jahre der Entbehrung, der Anstrengungen und der Misserfolge hinter ihm liegen. 

Erfreuen wir uns stattdessen an die kleinen Erfolgsschritte auf dem Weg zum großen Ziel, sieht die Sache wieder ganz anders aus.... Und nebenbei hilft es uns, die oft benötigte Ausdauer an den Tag zu legen. Von der "Häufung" der vielen (kleinen) Glücksmomente ganz zu schweigen...

In diesem Sinne, viel Spaß beim alltäglichen Tun und GUTES GELINGEN!

(Überschrift des Bildes:  Nicht immer dem großen, perfekten Glück hinterherjagen - man verliert sonst die schönen kleinen Dinge aus den Augen)



Sonntag, 29. Januar 2017

Supper's ready!...... oder wie mit einem klaren Worte alles anders gekommen wäre!


Bildquelle: www.helenesouza.com /pixelio.de


Es sollte ein schöner Abend für sie beide werden!

Die letzen Woche waren hecktisch gewesen, von viel Arbeit und Stress geprägt... und folglich von wenig gemeinsamer Zeit.
Sie würde ihm sein Lieblingsessen kochen, eine gute Wein öffnen und an diesen Abend alles tun, damit er für ihn so angenehm wie möglich würde.
Eingekauft hatte sie bereits am Morgen... und auch der Tisch war für diesen besonderen Abend schon gedeckt. Eine weiße Tischdecke, das beste Geschirr, Kerzen... Sie stand nun in der Küche und fing mit den Vorbereitungen für das Mahl an... In gut zwei Stunden würde ihr Mann nach Hause kommen, genug Zeit also, aber auch kein Grund für sie, herumzutrödeln.

Bestimmt wird er sich freuen... 

Vielleicht sollte sie ihn im Büro anrufen, damit er pünktlich Feierabend machte? Sie hatte ihm doch heute Morgen schon eine Andeutung gemacht... und er wusste ja auch, dass sie mit ihrem jetzigen Privatleben nicht zufrieden war... Wenn sie jetzt anrief, würde er sicherlich nur wieder denken, sie vertraue ihm nicht und hielte ihn für unzuverlässig... Nein, mit Sicherheit wäre er zeitig zu Hause und es würde ein toller Abend... Und wer weiß, was sie sich noch später für ihn einfallen lassen würde...

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Der Tag hatte nicht gut angefangen.... lästige Telefonate mit Lieferanten, dann auch noch eine Reklamation eines der wichtigsten Kunden... Stress pur!
Der Abschied von seiner Frau heute morgen war kühl gewesen... Sie hatten in der letzten Zeit wenig Zeit für sich gehabt. Und sie hatte ihn spüren lassen, dass sie das unzufrieden machte.
Aber es half nun mal nichts. Sie lebten nun mal von seinen Kunden, vor allen Dingen aber von deren Zufriedenheit und den ständig erneuerten Bestellungen.
Wahrscheinlich würde er es heute wegen der Reklamation schon wieder nicht pünktlich nach Hause schaffen. Vielleicht sollte er seine Frau anrufen und ihr Bescheid geben? Doch dann würde sie sich wieder nörgeln und ihn als unzuverlässig hinstellen... Nein, das konnte er heute nun gar nicht gebrauchen... am besten kümmerte er sich jetzt schnell um das, was zu erledigen war und könnte dann bestimmt noch einigermaßen früh Schluss machen. 

So ein Abend zu zweit, ein leckeres Essen, ein gutes Glas Wein... und dann schauen, was der Abend noch so brachte... Ein verführerischer Gedanke! Er riss sich zusammen, ehe ihn die Vorstellung ganz ablenkte...

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Die Vorbereitungen des Essens waren in den letzten Zügen. Sie hatte die Kerzen angezündet, der Wein hatte die richtige Temperatur und atmete in der Karaffe... Alles war perfekt und gleich würde ihr Mann nach Hause kommen...

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Nur noch diese paar letzten Telefonate... und noch den einen Brief diktieren, und die Sache mit der Reklamation würde für alle Beteiligten ein sehr gutes Ende nehmen... Dann nach Hause. Seine Sekretärin hatte ihm noch einen Strauß Rosen besorgt, den durfte er auf keinen Fall vergessen...

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Langsam wurde sie nervös... alles war fertig...  nur er war noch nicht da... Den Herd hatte sie bereits runter gestellt...
Sicherlich war er schon unterwegs... und ein Anruf würde ihr das nur bestätigen, weshalb sie den auch wieder verwarf. Vor allen Dingen wollte sie auf keinen Fall die nervige Ehefrau sein...

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Mist, schon wieder Stau... er würde noch bestimmt eine halbe Stunde benötigen... Anrufen? Dann würde seine Frau ihm wieder nur die Leviten lesen, dass sie immer hinten anstehen müsse... und schließlich war er ja dann noch in Kürze zu Hause...

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Das war's ! Das Essen war nun verkocht.... Immer das Gleiche! Da wollte sie ihm mal etwas Gutes tun... und wer spielte mal wieder nicht mit? Wenn Sie ihn jetzt anrief, würde sie sich nicht zügeln können... Sie war enttäuscht, zutiefst enttäuscht...

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Uuh.. das würde böse enden... Es waren nun schon 45 Minuten über der Zeit... und jetzt anzurufen würde auch nichts mehr bringen...

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Es klingelte... sie öffnete die Tür... da stand er, mit seinem Strauß Rosen...
... und den Rest der Geschichte können Sie sich sicherlich nun selbst denken...

Und dabei hätte doch ein wenig mehr Kommunikation, ein Anruf, etwas weniger Andeutungen, kurz klare Worte das alles verhindern können.

Sie kennen dies oder Ähnliches? Dann wissen Sie ja jetzt, wie Sie es beim nächsten Mal anders machen können ;-)

Für meinen Sohn.... oder was ich von ihm lernen durfte...



Es ist nun ein paar Wochen her, dass ich meinem Sohn zum hervorragenden Bestehen seiner Prüfungen und dem damit verbundenen Abschluss zum Verkäufer im Einzelhandel gratulieren konnte. Dadurch, dass ihm nur ein Punkt zum 100%igen Ergebnis fehlt, hat er sogar noch sehr große Chancen zu den Bundesbesten zu gehören.

Sicherlich bin ich sehr stolz auf ihn, doch das ist nicht der Grund für mich, diese Zeilen zu schreiben.

Seit nun fast 10 Jahren bin ich mehr oder weniger alleine für ihn verantwortlich gewesen, da er seit der Trennung bei mir lebte. Durch meinen Beruf viel unterwegs, auch noch oft in den Abendstunden, musste ich ihn sehr viel alleine lassen, in einem Alter, wo viele seiner Freunde noch das familiäre Umfeld genießen konnten, und das nicht nur bei der Hausaufgabenhilfe.

So wurde ich sehr oft von einem schlechten Gewissen geplagt, meinem Sohn möglicherweise nicht die Unterstützung bieten zu können, die er benötigt. Durch meine Abwesenheit gab es natürlich meistens auch keine Kontrolle, wie er seine Nachmittage verbrachte, so dass wohl meistens der Fernseher lief, statt sich um die schulischen Dinge zu kümmern.

So tat er für die Schule wohl meistens nur das Nötigste, und manchmal nicht mal das, was natürlich den einen oder anderen blauen Brief nach sich zog. 

Ich machte mir noch mehr Sorgen. Meinen Sohn schien es unberührt zu lassen! Im Gegenteil: sprach ich ihn darauf an, oder bat ich ihn, die Dinge doch ernster zu nehmen, kam es meistens nur zum Streit.
Es bescherte mir viele schlaflose Nächte!

Als er dann 18 wurde, wurde es etwas besser... das dachte ich zumindest! Doch schon in der Vorbereitung seines Abiturs nahm der Schlendrian wieder Einzug und keine Bitten und Betteln half wirklich nachhaltig, sich intensiver mit dem Stoff zu befassen.

Ich hörte nur: "Du nervst!!!"

Um es kurz zu fassen, es ging dann so weiter... bei den ersten Bemühungen um eine Lehrstelle, bei der Bearbeitung von Online-Test, der Vorbereitung von Vorstellungsgesprächen, bis schließlich auch bei der Durchführung seiner Ausbildung, die er mehr als einmal hinschmeißen wollte.

Noch mehr schlaflose Nächte für mich! Noch mehr Sorgen, bis hin zu Gefühlen von Scheitern und Versagen in der Erziehung meines Sohnes!

Doch nun durfte ich ihm zu seinem tollen Abschluss gratulieren... Und er fasst zurzeit weitere Pläne für seine berufliche Zukunft.

Was durfte ich lernen? Was dürfen Eltern vielleicht allgemein von ihren Kindern lernen?

- Vertrauen wir unseren Kindern!
- Lassen wir sie ihre eigenen Erfahrungen machen!
- Lassen wir sie ihren eigenen Weg finden und gehen!
- Lassen wir sie auch die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen!

Mein Sohn hat mir mal gesagt: "Papa, Du machst Dir einfach immer viel zu viele Sorgen um mich! Ich mache das schon!"

Nun, ... in der Tat, er tat es!

Pascal: ich bin sehr stolz auf Dich

Samstag, 14. Januar 2017

Der Abschied (eigene Gedanken)



Bildquelle: "Ein Leuchten zum Abschied"( Joujou/pixelio.de)
Das Telefon hatte gegen 22.30 Uhr geklingelt. Der Arzt war dran gewesen und er hatte ihm mitgeteilt, dass es mit seiner Mutter dem Ende zuging.
Seine Frau und er hatten schon im Bett gelegen und geschlafen. Seine Frau hatte er zu Hause gelassen, weil ja noch ihr Sohn da war, der mit knapp einem Jahr nebenan in seinem Zimmer tief und fest schlief. Er musste sich alleine auf dem Weg machen, auf diesem irgendwie "letzten Weg".
Was würde ihn erwarten, wenn er im elterlichen Haus ankam, wo seine Mutter die letzten Wochen gelegen hatte? Natürlich, seine Schwester, sein Schwager würden da sein... Die beiden, zusammen ... Er, alleine am Sterbebett seiner Mutter... Alleine, wie so oft in seinem Leben!
Ja, alleine hatte er sich oft gefühlt. Alleine in einem Frauenhaushalt, sehr oft auch als "Prellbock" zwischen Mutter und Schwester, wenn die eine sich über die andere beschwerte, was denn alles unter der Woche nicht ok war, während er seinem Studium in Lüttich nachgegangen war. Am liebsten wäre er dann gleich am Freitag Abend wieder in den Bus gestiegen, um im nächsten Ort den letzten Zug zurück nach Lüttich zu erwischen.
Das hatte sich nach der Heirat seiner Schwester zwar etwas gelegt, weil die beiden dann eben nicht mehr unter einem Dach gelebt hatten. Doch so richtig verschwunden war dieses Gefühl, vor dem Ganzen die Flucht zu ergreifen, erst, als er selbst geheiratet hatte und sein eigenes Leben geführt hatte.
Aber mehr noch als das, beschäftigte ihn der Gedanke, wie sich die letzten Stunden im Leben seiner Mutter abspielen würden.
Es würde das erste Mal sein, dass er einen Menschen förmlich in den Tod begleiten würde. Seinen Vater hatte er als kleines Kind bereits verloren; er war zu nachtschlafender Zeit ins Krankenhaus gebracht worden, ohne ein Wort des Abschieds. Man wähnte die Kinder natürlich im Schlaf, obwohl es im Hause ziemlich laut zuging, als sein Vater auf einem Stuhl kauernd den engen Treppenaufgang herunter in die Ambulanz getragen wurde.. er jedenfalls hatte alles mitbekommen: das Stöhnen seines Vaters unter den Schmerzen, das verzweifelte Jammern und Schluchzen seiner Mutter, was wohl werden würde, die Kommandos der Sanitäter, den Versuch des Hausarztes, beruhigend auf seine Mutter einzuwirken, ... Letztendlich war er auch da alleine gewesen, mit seinen 7 Jahren, voller Angst in seinem Bett. Und morgens war der Vater weg gewesen, einfach tot...
Die Fahrt in das andere Land, die andere Stadt, die früher einmal sein Zuhause gewesen war, zog sich hin... Erst die Autobahn, dann das Hochmoor, das zu dieser Zeit mit seinen hoch in den Nachthimmel ragenden Tannen, die den Straßenrand säumten und mit der weiten, im Mondschein schimmernden Hochebene, sehr unheimlich war, gefolgt von etlichen Serpentinen runter ins Tal, die eine gefährlicher als die andere, besonders heute, wo er alles andere als aufs Fahren konzentriert war.
Doch er kam heil an.
Es kostete ihn einige Überwindung, zu klingeln.. Er zögerte noch, als die Haustür bereits aufging.. Sein Schwager hatte ihn kommen sehen... Nun, jetzt gab es kein Zurück mehr; er musste ins Haus...
Seine Mutter lag im Wohnzimmer, wo sie ihr nach der Entlassung aus dem Krankenhaus, ein Krankenbett hatten aufstellen lassen. Den Eingang gleich links neben der Haustür mied er und folgte seinem Schwager in die Küche, wo ihn auch seine Schwester erwartete.
Es herrschte natürlich eine bedrückte Stimmung. Obwohl sie alle wussten, dass dieser Moment unausweichlich kommen würde, so erschien es ihm jetzt doch sehr plötzlich zu geschehen. Vor ein paar Tagen noch, am letzten Sonntag, hatte er seine Mutter noch besucht und es war so, als hätten die Ärzte sich in ihrer Diagnose getäuscht. Seine Mutter hatte noch mit ihnen gemeinsam am Tisch gesessen und gegessen; sie hatte noch mit seinem kleinen Sohn geschäkert, sogar noch ein paar Scherze gemacht...Und jetzt sollte alles vorbei sein?
Er war heil froh, dass der Hausarzt ihn noch in der Küche abfing, um ihn über den letzten Stand der Dinge zu informieren. Er wäre tatsächlich froh um jede Ablenkung gewesen... doch es gab keine.
Er habe alles gemacht, was er machen könne und dürfe, so der Arzt. Die Mutter habe ein starkes Herz und es könne daher noch dauern..... Sprach's und ging.
Nun war das Haus bis auf sie vier leer...
Er nahm sich ein Herz und ging ins Wohnzimmer.
Seine Mutter lag in ihrem Bett, zusammengekrümmt und aufgrund der krebsbedingten mangelnden Nahrungsaufnahme stark abgemagert. Besonders an ihrem Gesicht war es deutlich zu sehen. Das Gesicht, das früher einmal einer sehr schönen Frau gehört hatte, war jetzt eingefallen, fast nur noch Haut und Knochen. Die Atmung war sehr regelmäßig, auch wenn sie sich manchmal mehr nach einem Röcheln anhörte und er verstand, was der Hausarzt mit den Worten gemeint hatte, dass es noch dauern könne.
Er fand seine Mutter eigentlich so wie immer vor, wenn er an den letzten 10 Wochenenden nachts an ihrem Bett gewacht hatte, auf der Couch liegend, ohne Schlaf finden zu können, weil ihn die rasselnde Atmung neben den tausend Gedanken, die ihm im Kopf herumschwirrten, wach hielten.
Jetzt würde er dann wohl zum letzten Mal hier wachen...
Er hatte nun schon eine kleine Ewigkeit da gesessen, als es an der Haustür klingelte. Es waren seine Tanten, die drei Schwestern seiner Mutter, mit ihren Ehemännern. Er erinnerte sich vage daran, dass seine Schwester oder sein Schwager davon gesprochen hatten, dass die Mama vielleicht noch auf etwas/jemanden warte, bevor sie gehen könne... Scheinbar hatten sie den Gedanken Taten folgen lassen und die Verwandten angerufen.
Schnell füllte sich der Raum vom Gemurmel der Tanten, die sofort mit dem Herunterleiern von "Vater Unser" und "Gegrüßt seist Du, Maria" begonnen hatten. Irgendwie schienen sie einen Plan zu haben, was in einer solchen Situation zu tun sei. Er selber hätte sich viel lieber still hingesetzt, in Gedanken bei seiner Mutter...
Er konnte auch in diesem Moment nicht wirklich beten... Zu groß war seine Wut auf "Den da oben", der ihm jetzt, nachdem er ihm schon den Vater nicht gelassen hatte, nun auch noch die Mutter nehmen würde.
In seiner Vorstellung war es nicht vorgesehen, dass sie irgendwann auch mal gehen würde. Sicherlich musste er zugeben, dass dies eine sehr kindliche Sichtweise war... sie war ja wahrscheinlich auch in seinem 7-jährigen, kindlichen Gemüt geboren worden!
Nun saßen oder standen sie alle um dieses Bett und die Zeit verging, Minute für Minute, bleischwer... aus den Minuten wurden Stunden, das Gemurmel der Gebete war inzwischen verstummt, die rasselnde Atmung geblieben,...
Er saß nun am Kopfende des Bettes und hatte seiner Mutter bereits mehrmals zugeflüstert, ihre Hand in der seinen haltend: "Mama, lass los.. Alles ist gut, uns geht es gut, Du hast für alles gesorgt.. Du darfst jetzt zu Papa! Ich liebe Dich!"
Schließlich, als die Uhr bereits nach Drei anzeigte, schien es soweit. Seine Mutter atmete immer flacher und unregelmäßiger... Er hielt immer noch ihre Hand... Die Tanten, wie auf Kommando, übernahmen wieder das Beten,.... Und dann wurde es immer stiller... seine Mama atmete nicht mehr, er erschrak, als er sah, wie sich ihre Augen nach oben in ihren Höhlen wegdrehten. Er erschrak noch mehr, als plötzlich die Atmung wieder einsetzte,... ein allerletztes Mal! Ein langes Ausatmen, eine sich senkende Brust, sich entspannende Gesichtszüge, .... es war ganz still.
Seine Mutter war gegangen...

In Gedanken an liebe Menschen, die uns schon verlassen haben...